Endlich ist es so weit – vom 20. August bis zum 29. August 2010 liegt ein zehntägiger Sommerkurs mit acht Stunden Barocktanz pro Tag vor mir. Für mich ist es auch eine wichtige Weiterbildung, denn ich werde wohl irgendwann eine Barocktanzgruppe leiten. Und dafür sollte man schon deutlich mehr können, als nur ein paar einfache Grundlagen – auch wenn die den Alltag vieler Gruppen bestimmen. Wir haben lange überlegt, welchen der Barocktanzsommerkurse wir besuchen sollen – jeder ist anders und bietet andere Vorzüge. Wir haben uns schließlich für den Kurs von Philippa Waite in Cardiff entschieden – weil es der längste und intensivste ist. Ich kenne sie bereits von einem Wochenendworkshop in Dortmund und von ihrem sehr hilfreichen Buch über die barocke Tanzschrift. Selbstverständlich will ich im Laufe der Zeit auch noch all die anderen Lehrer für Barocktanz kennen lernen. In jedem Fall gehört sie als ehemalige Schülerin und Assistentin von Wendy Hilton sicherlich schon zu den Besten, wenn es um das Erlernen einer fundierten und sauberen Tanztechnik geht.
Nach einer langen anstrengenden Autofahrt durch die Nacht haben wir Cardiff am frühen Nachmittag erreicht. Nach einer Ruhepause im Etap Hotel geht es dann zum Check-in für den Workshop in das „Rubicon Dance Center“. Wir werden von Judy Kennedy freundlich empfangen, sie führt uns erst einmal durch das Haus und erklärt uns alles. Neben den Räumen lernen wir den Time Table kennen; wir hatten uns schon gewundert, warum wir keinen Zeitplan zugeschickt bekommen haben. Die Erklärung: er ändert sich jeden Tag, vorher fest steht nur der grobe Rahmen. So ist morgens ein gemeinsames Warm Up und am Abend ein gemeinsamer Workshop zu täglich wechselnden Themen, dazwischen ist irgendwann auch mal Lunch und Dinner. Und Dinner ist nun auch der erste Programmpunkt – wir lernen Phils leckeres Essen kennen. Er zaubert für alle Teilnehmer in einer winzigen Küche jeden Abend ein echtes Drei-Gänge-Menu auf den Tisch. Mittags gibt es dann immer etwas Leichtes zum Lunch – Salate oder Sandwichs. Das Thema des Abendworkshops am ersten Abend sind dann Country Dances – gut, dafür muss man nicht nach Cardiff kommen, aber es ist ein guter Start um erst mal als Gruppe anzukommen.
Der übliche Workshoptag läuft dann von 9:15 Uhr morgens bis 21:30 Uhr abends und beginnt zunächst mit einem gemeinsamen Warm Up. Dann teilen sich die Gruppen je nach Level in die beiden Ballettsäle auf. Es gibt vier Levels vom Anfänger (1), über Mittelstufe (2 das waren wir) zu Fortgeschrittenen (3) und sehr Fortgeschrittenen (4). Die Levels werden dabei zum Teil gemischt – um die einen zu konsolidieren, die anderen zu fordern. So sind im ersten Technikteil die Anfänger mit Judy in einem Saal unter sich und können an Grundlagen arbeiten, währen alle anderen (2-4 Mittelstufe bis sehr Fortgeschrittene) mit Philippa im anderen Saal zusammen an fortgeschrittener Technik arbeiten. Im zweiten Technikteil sind dann die Anfänger und Mittelstufe (1+2) zusammen und im anderen Saal nur die beiden Fortgeschrittenen Level (3+4). Beim Erarbeiten von Barockchoreographien aus der Beauchamp-Feuillet Notation („Steps in Context“) ist dann jedes Level unter sich. Wer gerade Pause hat, kann den „Study Room“ nutzen und sich die dort bereitliegenden Bücher und Barocktanzvideos anschauen. Für jedes Level gibt es am Tag drei Technikklassen und eine Klasse, in der eine Choreographie erlernt wird. Da Philippa nach einer OP noch etwas gehandicapt ist, wird sie zusätzlich von Matthew unterstützt, der oft die Bewegungen vorführt. Ab dem zweiten Teil des Sommerkurses ist dann auch Diana Cruickshank mit im Lehrerteam, die mit ihrer unnachahmlichen Art für die Rekonstruktion von „Country Dances“ zuständig ist. Wie war ihr Witz über das Publikum bei einer Barocktanzaufführung? „Nice costumes, are they Medieval? No! They are Victorian!”
Der Workshop teilt sich in drei Module zu je drei Tagen Unterricht, die man auch einzeln buchen kann. An Ende des letzten Moduls ist ein zusätzlicher Tag mit einer Aufführung in Kostümen im „Tredegar House“ (das aus dem 17ten Jahrhundert stammt) und einer Country Dance Party mit Buffet wieder im Rubicon. Ich habe den kompletten Kurs gebucht, damit sich die Anfahrt auch wirklich lohnt. Für mich ist es am Anfang erst einmal schwer, in der englischen Sprache anzukommen. So lange man noch am übersetzen ist und nicht in der Sprache denkt, ist es immer zu spät für das Tanzen – das Umschalten funktioniert bei mir ab Tag drei, dann läuft alles viel besser. In der freien Zeit mache ich, wenn es sich ergibt, zusätzlich bei den Anfängern mit oder schaue den Fortgeschrittenen zu. Im letzten der drei Module geht es hauptsächlich um die Vorbereitung für die Aufführung am letzten Tag. Klar ist es einmal interessant, in einem echten britischen Herrenhaus aus dem Barock zu tanzen. Aber die Aufführung besteht für die Anfänger und Mittelstufe nur aus einem Country Dance und einem neu choreographierten Gruppentanz mit Barockschritten – also eigentlich nichts, wofür es sich lohnen würde, extra von Deutschland nach Wales zu fahren. Dennoch ist das letzte Modul der Teil des Sommerkurses, in dem am meisten Teilnehmer angemeldet sind – vor allem die Fortgeschrittenen „Consort de Danse Baroque“ Leute sind dann jedes Jahr hier versammelt.
Die Ausbeute an gelernten Tänzen nach 10 Tagen: ein Barocker Solopaartanz („Menuet à deux pour un homme et une femme“ Pecour 1704), ein Gruppentanz von Philippa („New Prince of Wales“), den ich zusätzlich mit den Anfängern gelernt habe, ein weiter Gruppentanz von Philippa für die Aufführung und drei Country Dances („La Princesse Royale“, „The Beaux of the Park“ und „Prince Frederick’s Hornpipe“), die mit Diana erarbeitet worden sind. Das ist für einen so langen Sommerkurs normalerweise nicht sehr viel, aber dafür wird hier sehr gründlich an barocker Tanztechnik gearbeitet. In den Abendworkshops gibt es zu Demonstrationszwecken noch einige Country Dances und es wird an verschiedenen Aspekten von Tanz, der barocken Musik und der historischen Interpretation gearbeitet. An einem Abend gibt es auch eine sehr hübsche Aufführung in Kostümen. Den „Study Room“ habe ich kaum genutzt, auch wenn dort sehr viel Material bereit lag, denn allzu viel freie Zeit war in dem Workshop gar nicht. Aber es war ein Ort wo sich mancher von den Strapazen erholen konnte, und mit „Wallace & Gromit“ dann auch mal wieder lachen konnte. Der Running Gag „Don’t panic!!“, den wir mit heftigem Armwackeln von den Lehrerinnen zur Aufheiterung sahen, stammte allerdings aus „Chicken Run“. Gegen Ende des Workshop wurde dann der „Study Room“ belegt, um fleißig an Kostümen für den Auftritt Änderungen vorzunehmen, damit diese passten. Habe ich schon das gute Essen von Phil erwähnt? Ja, habe ich. Lecker war’s, schön war’s, bis zum nächsten Jahr.
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